Vierter Besuch: Chat Sauvage in Johannisberg im Rheingau
Am späten Nachmittag erreichen wir das Weingut Chat Sauvage in Geisenheim. Es liegt in Sichtweite des berühmten Schloss Johannisberg, das der Dichter Heinrich Heine mit seinem Stossseufzer «Mon Dieu, wenn ich doch so viel Glauben in mir hätte, dass ich Berge versetzen könnte, der Johannisberg wäre just derjenige Berg, den ich mir überall nachkommen liesse» unsterblich gemacht hat. Zwischen Bingen und Rüdesheim nehmen wir die Autofähre über den Rhein, eine empfehlenswerte Annäherung an den Rheingau, eröffnen sich doch unserem Blick auf der kurzen Überfahrt gefeierte Spitzenlagen wie Berg Roseneck oder Berg Rottland.

Verena Schöttle kredenzt als erfrischender Begrüssungstrunk ein Glas Rosé Sekt. Genau der richtige Muntermacher nach der anstrengenden Autofahrt. Die Frau ist am Dialekt unschwer als Schwäbin zu erkennen. Sie trat 2015 nach einer Winzerlehre und dem Önologiestudium an der Geisenheimer Fachhochschule sowie etlichen Lehr- und Wanderjahren als Rebmeisterin in Chat Sauvage ein. Vor knapp einem Jahr konnte sie den verdienstvollen Betriebsleiter Michael Städter beerben, den es zu Schloss Johannisberg gezogen hatte.
Die neue Chefin dirigiert ein ganz besonderes Weingut. Chat Sauvage debütierte mit dem Jahrgang 2005 und hat sich mittlerweile auf 8.5 Hektar der alleinigen Produktion von Chardonnay (25 Prozent) und Pinot Noir (75 Prozent) verschrieben. Der Betrieb stellt gleichsam eine kleine bugundische Exklave dar, umgeben von Riesling-Land.
Gründer und Besitzer von Chat Sauvage ist der Hamburger Unternehmer Günther Schulz. Ab Jahrgang 1982 begann er hochwertige Bordeaux zu sammeln. Eine breite Verkostung von Romanée-Conti 1990 infizierte ihn mit dem Burgund-Virus. Es keimte der Traum vom eigenen Weingut. Fündig wurde Schulz im Rheingau. Anfänglich kaufte er die Traubenernte und liess im Keller der Schamari-Mühle keltern. Dann entschloss er sich, eigene Rebberge in besten Lagen zwischen Winkel und Lorch zu kaufen und sie mit den zwei Burgunder Sorten zu bepflanzen. Parallel dazu baute er 2009 in Johannisberg einen Keller samt Vinothek, dessen moderne Architektur auch optisch verdeutlicht, dass da nicht die Riesling-Tradition gelebt wird: Der burgunderrote Kubus aus Beton und Glas hebt sich markant ab von den traditionellen Gütern aus Fachwerk und Buntsandstein. Ein frischer Akzent im etwas verschlafenen Rheingau.
Erzählenswert bei der Vorstellung von Chat Sauvage ist auch die Geschichte, wie das kühne Unternehmen (teil-)finanziert wurde: Günther Schulz liess nämlich seinen privaten, mit Premiers Grands Crus Classés und exklusiven Burgundern bestückten Weinkeller bei Christie’s versteigern. Drei Lastwagen waren 2004 nötig, um die teuren Preziosen der Jahrgänge 1982 bis 1990 aus Hamburg an die Auktion zu transportieren.
Wir nehmen den schönen Sommerabend zum Anlass, in die Reben zu fahren und die verschiedenen Lagen von Chat Sauvage zu besichtigen. Verena Schöttle ist eine kundige Führerin. Behende wie eine Gemse klettert sie in den Steillagen herum. Sie bewirtschaftet die Reben nach Methoden der Integrierten Produktion und verzichtet auf Herbizide. Wir starten in der Johannisberger Hölle und enden mitten im Pinot-Noir-Paradies des Assmannshausen Höllenberg, einer weltberühmten Schieferlage. Unter uns hat sich der Rhein wieder nach Norden gedreht und fliesst der Loreley entgegen. Wir erkennen in der Ferne Kapellenberg und Schlossberg von Lorch, wo der Rheingau an seine Grenze stösst und Chat Sauvage ebenfalls Parzellen besitzt. Die Steilhänge sind optimal der Sonne ausgesetzt, Vater Rhein sorgt für milde und ausgleichende Temperaturen. Von Ost nach West wechselt der Boden von Löss-Lehm zu Schiefer-Quarzit.

Chat Sauvage erzeugt heute rund 30 000 Flaschen: Gutswein aus dem Rheingau, Ortswein aus Lorch und Assmannshausen, Lagenweine aus Johannisberg, Rüdesheim, Assmannshausen und Lorch. Chardonnay vergärt in Piècen und wird sachte bâtonniert, Pinot Noir reift ebenfalls im Holz, 18 Monate, schwach getoasted und zu einem Fünftel neu. Man arbeitet mit Reinzuchthefen und verzichtet auf Schönung und Filtration. «Im Keller wird nicht gezaubert, nur behütet», sagt Verena Schöttle.
Zum Abendessen im nahegelegenen Hotel Burg Schwarzenstein probieren wir die Weine. Es sind eher kühle, duftige, nie überreife Gewächse. Sie besitzen eine filigrane, elegante Stilistik. Die Lagenunterschiede sind spürbar herausgearbeitet. Der Gerbstoff ist fein, das Holz in der Jugend deutlich schmeckbar, tritt aber bei den älteren Jahrgängen wie 2008 oder 2006 in den Hintergrund. Für eine Überraschung sorgt der einfache Pinot Noir Gutswein 2007. Er ist wunderbar gereift. «Wir wollen nicht Burgund kopieren, aber die Richtung zielt schon ins Burgundische», kommentiert Verena Schöttle, als wir die Finesse der Weine loben. Der französische Namen Chat Sauvage, der allerdings keine spezielle Aussage besitzt, und die klassisch anmutende Etikette unterstreichen die Absicht.
Günther Schulz ist inzwischen 79 Jahre alt und in beneidenswerter Form. Er lässt Schöttle freie Hand und diese revanchiert sich vorerst mit dem Kompliment: «Wenn ich mit 78 geistig noch so fit und beweglich bin wie er, bin ich glücklich.» Mit eigenen Weinen konnte sie sich noch nicht bewähren. Ihr erster eigenhändig gekelterter Jahrgang liegt jetzt im Keller. Man darf gespannt sein, wie die Weine ausfallen, und ob sich die Handschrift einer Frau auf ihre Stilistik auswirken wird. Arbeitet sie bei der Kelterung so präzise und engagiert wie im Rebberg, steht der Fortsetzung der märchenhaften Erfolgsgeschichte von Chat Sauvage gar nichts im Weg.
Blau-, Grau- und Weissburgunder
Der deutsche Name Blauburgunder für den Pinot Noir verweist natürlich aufs Burgund, das Heimatland dieser Rebsorte, die hier bereits 1375 erwähnt wurde. In Deutschland, genauer in der Region von Baden, wird der Blauburgunder, hier auch Spätburgunder genannt, seit dem Mittelalter kultiviert. Erst in den letzten Jahren hat er an Bedeutung und Qualität gewonnen, teilweise dank der Klimaerwärmung und tiefen Erträgen, was zu besserer Reife beigetragen hat. Die aus ihm gekelterten Weine bieten Erdbeeraromen und sind in der Regel frisch und elegant.
Der Grauburgunder alias Pinot Gris, eine Farbmutation des Pinot Noir, tauchte unabhängig an verschiedenen Orten auf. Zum ersten Mal erwähnt wurde er 1711 in Baden-Württemberg in Deutschland unter dem Namen Ruländer. Diese frühreife Variante, die recht anfällig auf Falschen Mehltau ist, wird im Wallis (Schweiz) auch Malvoisie genannt, in Anlehnung an die wahre italienische Malvoisie (Malvasia Bianca), die berühmt war für ihre Süssweine. Die aus Grauburgunder gekelterten Weine können trocken sein, mit Aromen von Haselnüssen und einer kleinen Bitternote, oder aber süss («flétri»), mit Quitten- und Aprikosennoten.
Der Weissburgunder alias Pinot Blanc, eine weitere Farbmutation des Pinot Noir, tauchte ebenfalls unabhängig an verschiedenen Orten auf. Er wurde zum ersten Mal 1868 im Burgund (Frankreich) erwähnt, wo diese Mutation lange mit Chardonnay verwechselt wurde. Die frühreife Variante, die anfällig ist auf Pilzkrankheiten, ergibt mächtige Weine mit massvoller Säure, die in der Gastronomie sehr beliebt sind.
— Dr José Vouillamoz
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