Nebbiolo, mon Amour
Erste Annäherung
Soviel vorneweg: Es war damals, vor nunmehr gut dreissig Jahren, nicht Liebe auf den ersten Schluck. Es war vielmehr eine behutsame und respektvolle Annäherung, denn Nebbiolo-Weine sind keine vordergründigen Gaumenschmeichler, die sich einem auf Anhieb erschliessen. In ihrer Jugend sind sie oft sperrig und unnahbar. Man muss schon eine gehörige Portion Geduld aufbringen und ihnen genügend Zeit zugestehen, damit sie zeigen können, was tatsächlich alles in ihnen steckt. Als ich das begriffen und akzeptiert hatte, stand meiner stetig wachsenden Wertschätzung und meiner seither anhaltenden Liebe für die einzigartigen und eigenwilligen Nebbiolo-Weine nichts mehr im Wege. Nebbiolo, mon Amour!
Piemontesische Edelrebsorte
Doch nun schön der Reihe nach! Als ich Ende der 1980er Jahre das erste Mal in die piemontesischen Weinbaugebiete der Langhe und des Monferrato reiste, kannte man hierzulande von den im Piemont angebauten Rebsorten vor allem die Barbera-Traube. Doch genossen die Barbera-Weine damals keinen guten Ruf, da es sich im Allgemeinen um billige Massenweine handelte, die in Supermärkten in Literflaschen verkauft wurden. Zu gut war einem zudem noch der 1986 aufgeflogene Weinpanscher-Skandal in Erinnerung geblieben, wo verschiedenen Billig-Barberas Methanol beigemischt worden war. Und dann war da noch der Nebbiolo, die rote Edelrebsorte, aus der in den Appellationen Barolo, Barbaresco und Roero noble Weine erzeugt wurden, die in jener Zeit nun auch ausserhalb ihrer Anbaugebiete breitere Beachtung fanden.
Nebbiolo in früheren Zeiten
Die Nebbiolo-Traube gehört zwar zu den ältesten italienischen Rebsorten (die ersten schriftlichen Belege stammen aus dem 13. Jahrhundert). Bereits in früheren Jahrhunderten wurde sie geschätzt, doch bei den erzeugten Weinen handelte es sich noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts um eher plumpe, oft nicht vollständig durchgegorene und deshalb auch unstabile Tropfen, die nur in der Herkunftsregion getrunken wurden. Die Restsüsse vermochte zwar den rustikalen, tanninreichen Charakter der damals jung getrunkenen Nebbiolo-Weine zu mildern, sie war aber auch das Resultat der rückständigen, ambitionslosen Weinbautradition auf der ganzen Appenin-Halbinsel, die das vorhandene Qualitätspotenzial der angebauten Rebsorten nur in Ansätzen zu nutzen verstand. Als Geburtshelfer der trockenen, durchgegorenen Nebbiolo-Weine fungierte dann auch ein Franzose: der aus Reims stammende Louis Oudart, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts als Berater in das Barologebiet geholt wurde.
Internationale Anerkennung
Doch sollte es noch etliche Jahrzehnte dauern, bis die Nebbiolo-Weine in ihren tradtionellen Anbaugebieten (in der Langhe, im Roero, im Nordpiemont und im Veltlin) nicht nur vereinzelt, sondern in grösserem Massstab zu dem wurden, was sie heute sind: grosse, noble Charakterweine. Angestossen wurde diese Entwicklung von einer neuen Generation von motivierten und innovativen Winzern, die seit den 1970er Jahren in den Rebbergen und in ihren Kellern ihre ambitiösen Qualitätsvorstellungen umzusetzen begannen. Zu Hilfe kam ihnen dabei die Natur, bescherte ihnen doch der Wetterverlauf der Jahre 1982, 1985, 1988, 1989 und 1990 gleich fünf aussergewöhnlich gute Jahrgänge. Nach den Weinen aus der Toskana, die als Schrittmacher der Qualitätsrevolution im italienischen Weinbau gelten, fanden nun auch die piemontesischen Gewächse (mit den Nebbiolo-Gewächsen Barolo und Barbaresco als kräftigsten Zugpferden) Anerkennung auf dem internationalen Weinparkett.
Nebbiolo und Pinot
Mag sein, dass dabei die edlen, prestigeträchtigen Pinots Noirs aus dem Burgund den Nebbiolo-Weinen Rückenwind verliehen haben. Die beiden Rebsorten haben ja einige Gemeinsamkeiten, obwohl sie genetisch nicht verwandt sind. Da ist einmal die eher helle, rubinrote Farbe der aus ihnen erzeugten Weine. Beide Varietäten sind zudem ausgesprochen sensibel für die Einflüsse von Boden, Lage und Klima, was – je nach Terroir – Weine von recht unterschiedlichem Charakter ergeben kann. Gleichwohl haben Nebbiolo-Weine und Pinot-noir-Gewächse auffallende Gemeinsamkeiten in Aromatik und Charakter. Typisch sind rote Früchte, Kirschen, florale Noten (Veilchen), mit zunehmender Reife Lakritze, Unterholz, Pilze (Trüffel). Gemeinsam ist ihnen ferner eine lebendige, saftige Säure und ein hervorragendes Alterungspotenzial. Bei den Tanninen unterscheiden sie sich allerdings beträchtlich: Da haben die Nebbiolo-Gewächse die Nase weit vorne. Deshalb brauchen traditionell erzeugte Nebbioli auch einige Jahre Kellerruhe, bis sich ihre jugendliche Sprödheit in tiefgründigen Finessenreichtum und anmutige Harmonie verwandelt.
Eigenständige Charakterweine
Die Nebbiolo-Traube gilt als die beste italienische Rebsorte. Doch im Gegensatz zu den weltweit angebauten französischen Edelrebsorten Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay und Pinot noir hat der Nebbiolo bislang ausserhalb seiner traditionellen Anbaugebiete kaum Verbreitung gefunden. Und dort, wo er ausserhalb Italiens vereinzelt Fuss fassen konnte, vermögen diese Weine nicht die Komplexität und aromatische Finesse zu erreichen, die die Spitzengewächse in der Langhe, im Nordpiemont und im Veltlin auszeichnet. Wegen ihrer Einzigartigkeit, ihrer terroirgeprägten Ausdrucksvielfalt und ihres aussergewöhnlichen Alterungspotenzials gehören diese Weine für mich zu den besten und faszinierendsten Rotweinen der Welt. Auch wenn sich heute viele gute Nebbiolo-Weine in ihrer Jugend nicht mehr ganz so sperrig-rustikal präsentieren, so bleiben sie doch im Allgemeinen eigenständige und eigenwillige Charaktergewächse, die sich der Instant-Mentalität unserer Zeit verweigern und uns stattdessen ein verheissungsvolles Genussversprechen für die Zukunft geben.