Franck Massard, der Magier
Eric Duret lernte Franck Massard bei internationalen Sommeliers-Wettbewerben kennen. Franck präsentierte damals die Weine der Bodegas Torres, des bekannten Familienimperiums aus dem Penedès. Franck Massard, gebürtiger Franzose und 1996 bester Sommelier Grossbritanniens, erfüllte sich 2004 einen Traum: Zusammen mit einem Freund, ebenfalls Sommelier, kaufte er im Priorat ein Stück Land, auf dem er seinen ersten eigenen Wein produzierte, Huellas (Fingerabdruck) genannt.
Heute lebt Franck in der Nähe von Barcelona, zumindest wenn er nicht gerade irgendwo auf der Welt an einer Weinmesse seine Weine präsentiert. Seine Firma, Epicure Wines, hat es sich zum Ziel gesetzt, in diversen spanischen Weinregionen, auch in unbekannten, qualitativ hochstehende, von ihrem Terroir geprägte, authentische Weine aufzuspüren, die handwerklich produziert werden, grosses Trinkvergnügen bereiten und erst noch bezahlbar sind. Beim Entstehungsprozess dieser Weine ist Franck intensiv beteiligt und arbeitet eng mit befreundeten Winzern und Önologen zusammen.
Der Traum vom eigenen Wein
«Das Priorat mit seiner kontrastreichen Landschaft hat mich von Anfang an fasziniert», erzählt er. Nach seinen Erfahrungen mit der ersten eigenen Rebparzelle im Dorf El Molar hat er in den höher gelegenen Hügeln oberhalb des Dorfes Poboleda einen perfekten Weinberg gefunden, der ausnehmend frische und elegante Weine hervorbringt: das Weingut Mas Sinel. Wir fahren über eine staubige, kurvige Strasse, von Wald gesäumt, durch ein romantisches Tal, bis sich vor unseren Augen ein mit Reben bestocktes kleines Amphitheater öffnet, zu dessen Füssen ein typisches Landhaus steht. «Der Keller wurde vor zehn Jahren gebaut», erklärt Franck und stellt uns Salvador Burgos vor, Besitzer des Gutes, Winzer in vierter Generation und, wie Franck betont, das Herz dieses Projekts. Salvador kümmert sich um die Reben und auch um den Ausbau der Weine, wenn Franck nicht da ist. Als beratender Önologe amtet Dominique Roujou de Boubée.
Zusammen mit Franck steigen wir den steilen Rebberg hoch, unter unseren Füssen rutschen die zerbrechlichen Schieferplättchen den Hang hinunter. «Wir sind hier in einer der kühlsten Zonen des Priorats», meint Franck und verzieht lachend das Gesicht, denn heute, bei dieser Bruthitze, ist das kaum zu glauben. Die Reben von Mas Sinel wachsen auf einer Höhe von 300 bis 550 Metern. «Am Morgen weht hier oft ein kühler, trockener Wind aus dem Landesinneren, Cierzo genannt, am Abend dagegen werden die hohen Temperaturen durch eine Meeresbrise namens Garbí gemildert.» Perfekte Bedingungen also für die Trauben, die stets gut belüftet sind.

Ökologischer Weinbau
«Und ideale Voraussetzungen für biologischen Weinbau», wie Franck anfügt. Seit 2014 arbeitet der Betrieb zertifiziert biologisch. Dank der klimatischen Bedingungen, aber auch dank der Höhe und den grossen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht reifen die Trauben langsam und entwickeln eine grosse aromatische Komplexität, ohne ihre Frische zu verlieren. «Die Erträge hier sind sehr gering, wir produzieren höchstens 25 hl/ha, insgesamt sind es etwa 30 000 Flaschen pro Jahr.» Es herrscht absolute Stille, nur ein paar Zikaden schaben ihr rhythmisches Lied, der betörende Duft mediterraner Kräuter hängt schwer in der Luft. Rundherum wachsen kleine Wäldchen mit Pinien, mediterranen Eichen und Dornengestrüpp, nebst wildem Thymian, Rosmarin und Lavendel. «Die Böden hier sind sehr karg, sie bestehen aus lehmigem Schiefer und drainieren gut. Wenn es regnet, fliesst das Wasser sofort ab. Das ist ideal, weil so kaum Krankheiten entstehen können, aber es bedeutet natürlich Stress für die Reben.» Was wiederum gut ist für die Traubenqualität. «Geologisch gesehen, gehören die Böden des Priorats zu den ältesten Spaniens, sie sind etwa 400 Millionen Jahre alt.» Im Vorbeigehen zeigt uns Franck eine kleine Quelle, die zum Grundstück gehört – für Trinkwasser ist also gesorgt. Die Reben sind recht dicht gepflanzt, teilweise auf Drahtrahmen erzogen, teilweise im Gobeletsystem. «Die jüngsten Reben pflanzen wir wie früher im Gobeletsystem. Wir kommen auf Altbewährtes zurück…»
Amphoren und Doppelbarriques
Modern dagegen ist der Keller, funktionell und blitzsauber. Zwei Amphoren, gefertigt aus spanischem Lehm, stehen neben einer ganzen Batterie französischer Holzfässer, vergoren wird mehrheitlich im Stahltank. Die Trauben werden entrappt, mit selektionierten Hefen bei 24 bis 28 Grad Celsius vergoren («unsere pH-Werte sind oft sehr tief, deshalb wäre es zu riskant, mit den eigenen Hefen zu arbeiten») und danach in Tonamphoren (versuchsweise je eine Amphore mit Grenache und mit Carignan) oder in zu einem Fünftel neuen, nur schwach getoasteten und 400 bis 500 Liter fassenden Eichenfässern ausgebaut. «Der Wein bleibt zwölf bis 15 Monate in den Barriques, ohne Bâtonnage, er darf sich ausruhen…»
Das Resultat haben wir bald im Glas: Der Basiswein Bellesa Perfecta 2012* macht seinem Namen alle Ehre. Komponiert aus 60 % Garnacha und 40 % Cariñena, mehrheitlich im Tank ausgebaut, präsentiert sich die perfekte Schönheit mit verführerisch fruchtiger und würziger Nase, im Gaumen rund, mit süsser Frucht und trotzdem frisch und mineralisch. Ein sehr harmonischer Schmeichler, dem man kaum widerstehen kann. Sehr vielversprechend auch die Fassprobe des 2013ers, noch würziger und dichter als der 2012er.
In einer anderen Liga spielt der Huellas*, der mit 60% Carignan und 40% Garnacha ausschliesslich in mehrheitlich gebrauchten Barriques reift: intensive, tiefgründige, sehr komplexe Nase mit Noten von schwarzen Beeren, Feigen, süssen Gewürzen, im Gaumen geschmeidige, fast cremige Textur mit sehr feinen Tanninen, getragen von einer rassigen Mineralität und einer eleganten Frische. Langes Finale auf pfeffrigen Noten. Ein ausgewogener, finessenreicher Wein, dessen Kraft perfekt gezähmt wurde. Und schliesslich die Krönung, der Eda*, ein reinsortiger Carignan, 16 Monate im
Doppelbarrique verfeinert: tiefgründig, elegant, mit seidig feinen Tanninen und trotz des respektablen Alkoholgehalts von 15 %-vol. wunderbar frisch und voller Energie. Dieser Wein, bisher nur in den Jahrgängen 2010 und 2012 in kleinster Auflage produziert (2010 gab es 999 Flaschen, 2012 nur 500), ist die Symbiose aus dem Mikroklima, dem aussergewöhnlichen Llicorella-Schieferboden und der Energie von Poboleda. Eine Hommage also ans Dorf PobolEDA und sein grossartiges Terroir, ja, ans ganze Priorat.
El Mago – ein bezaubernder Alltagswein aus der Terra Alta
Hinter einem originellen Namen («mago» bedeutet einerseits Zauberer, ist aber auch ein Kürzel für Maya und Hugo, die beiden Kinder von Franck Massard) und einer fröhlichen, vom achtjährigen Hugo gezeichneten Etikette verbirgt sich nicht nur ein strahlend fruchtiger, geschmeidiger Alltagswein, der grossen Trinkgenuss verspricht. Hinter dem Magier steht auch die Familie Mesies, sprich die Geschwister Jessica, Sylvia und Salvador Mesies, die im Dörfchen Vilalba dels Arcs leben und arbeiten. Ihre zwölf Hektaren Reben, relativ flaches Terrain mit lehmhaltigen, schwarzen Böden, gehören zur DO Terra Alta, einer Hochebene mit beachtlichem Potential für Weinbau, die bisher noch kaum bekannt ist. Diese Appellation im Süden Kataloniens wird begrenzt von Gebirgszügen und dem Fluss Ebro. Das Klima hier ist frischer als in den benachbarten Regionen Montsant oder Priorat. Charakteristisch ist ein trockener Nordwind, der die Trauben gesund hält. Die Mesies kultivieren ihre Reben nach biologischen Richtlinien. Die Hauptsorte ist die Garnacha, kleinere Anteile teilen sich Syrah, Merlot, Cabernet Sauvignon und Carignan sowie Macabeo und Sauvignon bei den weissen Sorten. Der Keller ist klein, aber sehr funktionell und picobello sauber. «Wir produzieren unter unserem eigenen Namen rund 15 000 Flaschen – und für Franck Massard weitere 15 000 Flaschen des El Mago», erklärt uns Jessica.
Franck Massard wählt die Trauben für seinen Wein jeweils schon in den Rebparzellen aus. Die Trauben für den El Mago – 95 % Garnacha und 5 % Syrah – werden separat im Stahltank vergoren und ausgebaut. Das Resultat ist ein sehr reintöniger, sympathischer und fruchtiger Wein mit schöner Würze, frisch, vollmundig und unkompliziert. «Ein Wein, der allen gefällt», meint Franck Massard zufrieden.

Touristische Highlights im Priorat
Katalonien im Allgemeinen, aber auch das kleine Priorat haben dem Reisenden viel zu bieten, nicht nur kulinarisch oder in Sachen Wein. Einen Besuch wert sind die verstreut liegenden Bergdörfer mit ihren engen Gassen und ihren an mittelalterliche Filme erinnernden Häuser. Keinesfalls verpassen sollte man die Cartoixa d’Escaladei (siehe auch S. 9-10). Auch diverse Museen und ehemalige Einsiedeleien warten auf Besuch. Die Hauptattraktion des Priorats ist aber unbestritten die Landschaft. Einer der grossartigsten Aussichtspunkte liegt im Dörfchen Siurana de Prades (www.turismesiurana.org), das wie ein Adlerhorst auf einem mächtigen Kalksteinfelsen von 737 Metern Höhe zu kleben scheint. Man erreicht es über eine acht Kilometer lange, kurvige Strasse, die durch eine tiefe Schlucht führt. Das praktisch uneinnehmbare Kastell von Siurana spielte eine wichtige Rolle in der Zeit der Mauren, als es den Vormarsch der christlichen Rückeroberer aufhielt. Als allerletztes Dorf Kataloniens fiel Siurana erst 1153 an Raimund Berengar IV., den Grafen von Barcelona. Sehenswert ist die romanische Kirche Santa Maria. Der Blick auf die Canyonlandschaft rundherum mit ihren schroffen Felsen – ein Eldorado für Sportkletterer – ist atemberaubend. Nichts für Leute, die nicht schwindelfrei sind!