Eine kurze Analyse des Jahrgangs 2022

Bei diesem aussergewöhnlichen 2022er ist es den Bordelaisern ganz schön heiss geworden. Im eigentlichen und im übertragenen Sinn. Hier die wichtigsten Elemente, um den Jahrgang zu verstehen:

- 2022 kann in den meisten Appellationen als grosser Jahrgang qualifiziert werden. Manche Weine sind geradezu aussergewöhnlich.

- Schlüsselbegriffe sind Konzentration, Frische, Gleichgewicht, Alterungspotential.

- Die Rotweine sind sehr konzentriert, die Tannine in der Regel sehr fein.

- Die Weissweine, trockene und süsse, weisen weniger Säure auf als 2021.

- Im ganzen Bordelais beobachtete man zwischen Juni und September vier Hitzewellen, an
44 Tagen stieg die Temperatur auf über 30° C.
Michel Reybier, Besitzer des Château Cos d’Estournel, hält 2022 in diesem Punkt für vergleichbar mit 1947 (42 Tage), 1949 (43 Tage) und 1982 (42 Tage). Also mit einigen der besten Jahrgänge des 20. Jahrhunderts!

- Die Trockenheit hat einen moderaten Wasserstress ausgelöst; die Wasserreserven, die sich 2021 in den Böden akkumulierten, waren hilfreich. Das führte zu einem höheren Zuckergehalt, einer Verringerung der Beerengrösse, aber auch zu einer exzellenten Reife der Trauben.

- Noch mehr als in anderen Jahrgängen spielte die Wahl des Erntezeitpunktes eine entscheidende Rolle. Die Weinlese fand überall frühzeitig statt, ab Ende August, um jede Überreife zu vermeiden, vor allem beim Merlot.

- Die Traubenbeeren des Cabernet Sauvignon waren sehr klein, mit recht dicken Häuten und wenig Saft. Die Erträge fielen folglich eher gering aus, mit 20 bis 40 Hektorliter/Hektar je nach Region und Weingut. Offiziell erlaubt waren je nach Appellation Erträge zwischen
50 und 60 Hektoliter/Hektar.

- Laut Sara Lecompte Cuvelier (Verwalterin des Château Léoville Poyferré) half der häufig auftretende Morgentau im Sommer, der Trockenheit zu trotzen und das aromatische Potential der Beeren zu bewahren.

- Es wird oft behauptet, der Merlot habe wegen der Klimaerwärmung keinen Platz mehr im Bordelais. Dieser Jahrgang straft die Schwarzseher Lügen, denn der Merlot hat Weine von grosser Finesse hervorgebracht. Das spricht dafür, dass er durchaus eine Zukunft hat in Bordeaux.

- Ein weiterer entscheidender Punkt: die Beherrschung der Extraktion, um zu massive oder gar austrocknende Tannine zu vermeiden. Laut Mathieu Bessonnet, seit 2020 technischer Direktor des Château Pontet-Canet, verlangte ein gutes Tannin-Management eine ganz sanfte Maischegärung, ein «Ziehenlassen», mit möglichst wenig Umpumpen. Diese Ansicht teilt auch Caroline Frey (Château La Lagune), die den Wein nur selten umgezogen hat. Sie fügt an, in diesem verblüffend atypischen Jahrgang weniger neues Holz verwendet zu haben, um die Weine nicht zu überladen. Thomas Duroux, Generaldirektor von Château Palmer, hat sich dagegen für eine normale Extraktion entschieden; das Resultat ist von perfekter Harmonie.

Michel Reybier, résidant genevois et propriétaire  du Château Cos d’Estournel (97/100) et, depuis peu,  du Château Cos Labory (92/100).
Oben: Michel Reybier wohnt in Genf und ist Besitzer des Château Cos d’Estournel (97/100) und seit kurzem auch des Château Cos Labory (92/100).

 

Sind die Reben resilient?

Haben die Rebstöcke «gelernt» von den vorangegangenen extremen Jahrgängen wie 2015, 2016, 2018 und 2020, oder, für die älteren Reben, von 2003? Davon sind mehrere Produzenten überzeugt, etwa Gonzague Lurton (Château Durfort-Vivens), der glaubt, dass die aufeinanderfolgenden Hitzewellen die Reben dazu getrieben haben, ihre Wurzeln weit in die Tiefe wachsen zu lassen, um den Grundwasserspiegel zu erreichen. Gleicher Meinung ist seine Ehefrau Claire Villars-Lurton (Châteaux Ferrière, La Gurgue, Haut-Bages Libéral), welche die Frische der 2022er dadurch erklärt, dass die Trockenheit die Photosynthese verlangsamt und so den Abbau der Säuren verhindert habe. Philippe Bascaules, Direktor von Château Margaux, hat eine andere Hypothese: Gemäss ihm hat die DNA eines jeden Rebstocks mittels Epigenetik von den vorangegangenen Jahrgängen «gelernt». Dieses Phänomen ist erst seit rund zwanzig Jahren bekannt: So soll der durch die Umwelt ausgelöste Stress in der Lage sein, den Ausdruck der Gene zu wandeln, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. Ein weites Feld für die Forschung!

Philippe Bascaules, directeur du Château Margaux, fait goûter à José Vouillamoz Château Margaux (96-97/100),  le Pavillon Rouge (93-94/100) et le Pavillon Blanc (93/100).
Philippe Bascaules, Direktor von Château Margaux, gibt José Vouillamoz den Château Margaux (96-97/100), den Pavillon Rouge (93-94/100) sowie den Pavillon Blanc (93/100) zu verkosten.

 

Weihnachts-Sonderangebot

Möchten Sie jemanden aus Ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis dazu einladen, Mitglied beim Club DIVO zu werden?

Erhalten Sie einen Geschenkgutschein von CHF 100.– für jedes «Patenkind», das sich bei DIVO anmeldet und dessen erste Bestellung über CHF 200.– liegt.

Ihrem Patenkind wird die Mitgliedergebühr (CHF 25.–) für das erste Jahr erlassen und es erhält als Willkommensgeschenk ein Köfferchen im Wert von CHF 45.90.


Ihre Kontaktdaten
Ihr Patenkind

Processus