Die Phylloxera, der amerikanische Schädling
Daktulosphaira vitifoliae
Wissenschaftlich Daktulosphaira vitifoliae (oder manchmal Viteus vitifoliae), früher Phylloxera vastatrix genannt, ist die Phylloxera (vom griechischen phyllon = Blatt und xeros = trocken) ein Insekt, das aus dem Osten der Vereinigten Staaten von Amerika stammt und Ende des 19. Jahrhunderts versehentlich in Europa eingeschleppt wurde. Die mit Stechrüsseln versehenen Hemiptera, verwandt mit den Blattläusen, sind auf Weinreben angewiesen, deren Wurzeln sie angreifen. Die Phylloxera hat zwei Fortpflanzungszyklen, einen ober- und einen unterirdischen. Oberirdisch bringt sie in der Regel harmlose Gallen hervor, bei ihrem unterirdischen Zyklus hingegen zerstört sie systematisch die Wurzeln der europäischen Reben.

Die Reblaus ist in der Lage, innerhalb von wenigen Tagen einen ganzen Rebberg zu zerstören, daher ihr ehemaliger wissenschaftlicher Beiname vastatrix. Dank einer 2020 publizierten Genomik-Studie weiss man mittlerweile, dass der verantwortliche Reblaus-Stamm zusammen mit einigen vom Mississippi in den Vereinigten Staaten stammenden Pflanzen der Population Vitis riparia nach Europa gelangt ist. Erstmals beobachtet wurde die Phylloxera in Europa im französischen Pujaut, nahe von Roquemaure im Gard um 1861-63. Von dort aus hat sie sich in der gesamten Alten Welt ausgebreitet und zu katastrophalen Verwüstungen geführt, die weltweit eine riesige Krise im Weinbau auslösten. In der Schweiz trat die Reblaus zuerst 1871 in Genf auf, dann 1886 in der Waadt und schliesslich 1906 im Wallis und im Tessin. Die anderen Regionen wurden in derselben Periode ebenfalls betroffen.
Das Veredeln als Wundermittel?
Ab Ende der 1860er-Jahre wurden unzählige Versuche gemacht, um die Angreiferin zu bekämpfen. Man begann damit, chemische Substanzen (wie Kohlenstoffdisulfid) mit einer Art grosser Spritze auf Höhe der Wurzeln zu injizieren, was dabei half, gewisse Rebberge am Leben zu erhalten. Man versuchte auch, die Eier der Phylloxera zu zerstören, indem man die Rebstöcke mit einer Mischung aus Wasser, ungelöschtem Kalk, Naphtalin und schwerem Steinkohleöl bestrich. Danach probierte man die Reblaus zu ersticken, indem man die Rebberge im Winter unter Wasser setzte, was allerdings vor allem bei Reben in Hanglagen wenig Erfolg versprach… Ein ebenso nutzloser Lösungsansatz sollte nachhaltige Konsequenzen haben für den europäischen und vornehmlich den französischen Weinbau. Nachdem man festgestellt hatte, dass die amerikanischen Vitis-Spezies von Natur aus resistent sind gegen die Phylloxera, begann man sie mit gewissen europäischen Rebsorten zu kreuzen, in der Hoffnung, dass die Neuzüchtungen ebenso resistent sein würden. (So ist beispielsweise die Baco Noir eine Hybridrebe aus Vitis riparia × Folle Blanche.) Diese Hybridreben werden auch «Direktträger» genannt. Doch keine von ihnen erwies sich als wirklich resistent, einige erlebten allerdings einen wahren Boom, so etwa die Sorten Clinton, Noah, Baco Noir oder Oberlin. Diese Hybriden, die Mitte des 20. Jahrhunderts 30% der französischen Rebfläche bedeckten, ergaben mittelmässige Weine, die oft einen sogenannten «Foxton» aufwiesen, der an den Geruch eines Fuchsfells erinnerte. Sie wurden aus allen europäischen Appellationen verbannt, haben aber in Spuren überlebt, etwa im Tessin, wo die Trauben solcher Hybriden manchmal im «Nostrano» verarbeitet werden.
Die wirksamste Lösung gegen die Reblaus wurde 1874 von Jules-Émile Planchon gefunden: Es genügt, die europäischen Rebsorten auf amerikanische, von Natur aus gegen die Phylloxera resistente amerikanische Rebstöcke aufzupfropfen. Die Wurzelteile der amerikanischen Rebstöcke der Spezies Vitis riparia, Vitis labrusca, Vitis berlandieri, Vitis rupestris oder, am häufigsten, von Hybriden dieser Spezies, werden Unterlagsreben genannt. Das sogenannte Aufpfropfen oder Veredeln hat den europäischen Weinbau vor dem Untergang gerettet. Und brachte nebenbei einen neuen Berufsstand hervor: den des Rebschulisten!
Neuanlage der Rebberge
Traditionellerweise erneuerte man in der Epoche vor der Ankunft der Phylloxera die Reben mittels Stecklingen (abgeschnittenen Trieben, die in die Erde gesteckt wurden), durch Ableger (zwei Jahre lang neben der Mutterrebe herangezogen) oder mittels Vergruben (dabei wird der ganze Rebstock vergraben). Seit der Phylloxera war man gezwungen, systematisch hausgemachte oder vom Rebschulisten bereitgestellte Pfropfreben zu verwenden, zusammengesetzt aus der europäischen Sorte, aufgepfropft auf eine amerikanische Pflanze, die der Phylloxera widersteht. Dank dieser wirksamen Lösung konnte man Ende des 19. Jahrhunderts damit beginnen, bis Mitte des 20. Jahrhunderts fast alle europäischen Rebberge neu anzulegen. In den meisten Fällen wurden die alten, traditionellen einheimischen Sorten weitgehend durch andere, produktivere und einfacher zu kultivierende Varietäten ersetzt. Das ist etwa im Tessin passiert, wo der 1906 eingeführte Merlot die alten Rebsorten wie die Bondola verdrängt hat. Oder im Wallis, wo ebenfalls ab 1906 die Flächen der alten Sorten wie Resi, Alter Landroter (später fälschlicherweise in Cornalin umbenannt) oder Humagne Blanc auf ein Minimum zusammenschrumpften und durch Chasselas (Fendant), Pinot, Gamay und Silvaner ersetzt wurden.

Der Einfluss der Unterlagsreben
Noch heute haben die Rebschulisten Hunderte von Unterlagsreben zur Auswahl, wenn sie die Pfropfreiser bereitstellen. In der Schweiz, wo es verboten ist, unveredelte Reben zu pflanzen, sind die gängigsten Unterlagsreben Couderc 3309, Kober 5BB, SO4 und Fercal. Sie werden je nach Terroir, sprich je nach Bodentyp, Parzelle und Klima ausgewählt. Diese Wahl ist entscheidend, denn die Unterlagsrebe beeinflusst verschiedene Faktoren: die Wuchskraft, die Versorgung mit Mineralien, den Vegetationszyklus (frühe Reife der Trauben), die Widerstandskraft gegenüber Trockenheit, die Toleranz von Feuchtigkeit usw. Zudem ist die Unterlage Gegenstand interessanter Forschungen, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen.
Man spricht oft von der Übereinstimmung zwischen Rebsorte und Terroir, doch dieses Konzept ist zu simpel. Tatsächlich muss man auf einem gegebenen Terroir die passende Unterlagsrebe finden und dazu den richtigen Klon der richtigen Rebsorte. Es gibt unzählige mögliche Kombinationen!
Präzisieren muss man, dass kein Transfer der DNA zwischen der Unterlagsrebe amerikanischen Ursprungs und der Rebsorte europäischer Herkunft stattfindet. Die Unterlage verändert folglich die Identität der Rebsorte nicht.