Didier Joris, ein Walliser Urgestein

Die Walliser Weingeschichte ohne Didier Joris? Undenkbar. Nur wenige haben sie so mitgeprägt wie er. Wir treffen ihn in Chamoson, in seinem Zuhause, das von einigen seiner Leidenschaften erzählt – der Passion für Kunst, Literatur, das Kochen, guten Wein natürlich. Didier Joris humpelt und verzieht das Gesicht, beisst die Zähne zusammen. «Ach, nicht der Rede wert», winkt er ab – ein Indianer kennt keinen Schmerz. Trotz komplizierter Knieoperation.

Wir sitzen am selbst gezimmerten Holztisch, von dem man nie mehr aufstehen möchte. Unverwandt hält sein heller, klarer Blick einen gefangen, aufmerksam, wach, sein gesundes Bein unter dem Tisch wippt. Ein Zappelphilipp, dem es erst wohl ist, wenn er zwei, drei Aufgaben gleichzeitig anpacken kann. Stillsitzen ist seine Sache nicht. War es noch nie. «Ich bin hyperaktiv», bestätigt er grinsend. Ein Überzeugungstäter. Unbeugsam und stur, mit hellem Kopf und grossem Herzen, einer, der das, woran er glaubt, auch lebt. Und über den man gut und gerne ein Buch schreiben könnte.

Von den Kühen zum Wein

Als Bauernsohn in einfachen Verhältnissen in Chamoson geboren, in einer Familie, die mit ihrem Vieh im Sommer auf höher gelegene Weiden zog und weitgehend autark lebte, galt seine erste grosse Leidenschaft den Kühen, genauer: den stolzen Ehringer Kampfkühen. Er kommt noch heute ins Schwärmen, wenn er von seinen «Königinnen» erzählt. «In der Schule wurde ich gehänselt, weil ich nach Kühen stank», erzählt er und lacht ein trockenes Lachen.

Erst im Lauf der 1960er- und 1970er-Jahre pflanzte die Familie Reben an. «Das verlangte damals der Markt.» Didier erzählt, wie dort, wo früher die Kühe geweidet hatten, die Hänge terrassiert, Mauern gebaut und Rebberge angelegt wurden. «Mein Vater verstand nichts von Weinbau, so besuchte ich die Landwirtschaftsschule in Châteauneuf.» Auf ein intensives Praktikum in Deutschland, wo er nicht nur auf dem Weingut, sondern (ganz nach seinem Gusto) auch noch bei einem Metzger, einem Bäcker und in einem Weinlabor Erfahrungen sammelt, folgt die Ausbildung in Changins. Er übernimmt eine Kellerei in Saint-Pierre-de-Clages, unterrichtet in Châteauneuf, später in Changins, wo er 26-jährig als Lehrbeauftragter und Forscher angestellt wird und kommende  Grössen wie Marie-Thérèse Chappaz, Jean-René Germanier, Madeleine Gay, Mike Favre, Axel Maye oder Denis Mercier unterrichtet.

Als er 1982 sein privates, topmodernes Labor in Chamoson eröffnet, sorgt das für Wirbel. Der damalige Leiter der Provins protestiert, er mache der Genossenschaft Konkurrenz, indem er die aufstrebenden Selbstkelterer unterstütze, und auch in Changins hat man keine Freude an seinen Nebentätigkeiten. 1987 wird Didier Joris vom nachmaligen Bundesrat Pascal Couchepin, damals Präsident des Verwaltungsrats der Caves Orsat in Martigny, zum technischen Direktor des schwergewichtigen Weinhauses gemacht. «Drei Tage pro Woche arbeitete ich bei Orsat, wo ich unter anderem die Linie Primus Classicus ins Leben rief, drei Tage war ich in Changins tätig, in der übrigen  Zeit betrieb ich mein Labor und kelterte meinen eigenen Wein in Chamoson…» Daneben? Unzählige Mandate als önologischer Berater. Er kreiert zusammen mit seinen Auftraggebern die ersten Walliser Assemblagen, die Geschichte schreiben, etwa den weissen Trémaille oder den roten Tourmentin und Ardévine, und hat seine Hände mit im Spiel bei der Erfindung des berühmten Bon Père William und Abricool. Dazu kommt ein Weingut im Cahors, das er mitbegründet. Ein Leben auf der Überholspur. Arbeit rund um die Uhr. Es kommt zum Bruch.

Carte Blanche für Didier Joris
Hin zu einem biologischen Weinbau

Wir werden uns zwangsläufig für biologischen Weinbau entscheiden müssen. Eines der Hauptziele dabei: Der Walliser Weinbau soll ein deutlich harmonischeres Verhältnis zu seiner alpinen Umwelt bekommen. Das erreichen wir, indem wir einen viel gesünderen Weinbau praktizieren, der resolut auf Respektierung von Natur und Böden setzt. In Chamoson beispielsweise geht es darum, den vor mehr als 5000 Jahren entstandenen Schuttkegel, aus dem die Biodiversität fast ganz verschwunden ist – die Schmetterlings-, Vogel- und Insektenpopulationen sind alle stark zurückgegangen –, wieder in eine echte Landschaft zu verwandeln.
Doch wie kann man die Entwicklung aufhalten und umkehren, wie dieser Verarmung Abhilfe schaffen? Zuallererst, indem man wieder Inseln mit vielfältigem Baumbestand anlegt und Raum für die Flora schafft. Das Wiederaufblühen des pflanzlichen Lebens bietet zahlreichen Tierarten Lebensraum. Der gelbe Blasenstrauch zieht Schmetterlinge wie den Bläuling an, in der Frühlingsbegrünung nistet die Heidelerche, dank Nistkästen kehrt der Wiedehopf zurück, Steinhaufen bieten Reptilien und Insekten Unterschlupf. Das sind erste Massnahmen, die es zu ergreifen gilt.
Als Pioniere tragen wir bereits seit 15 Jahren bei zu dieser positiven Entwicklung.
Seit 13 Jahren verzichten wir vollständig auf Pestizide und Herbizide. So enthalten weder unsere Trauben noch unsere Weine irgendwelche Rückstände, was der Gesundheit unserer Mitarbeiter, unserer Kunden und natürlich auch unserer eigenen Gesundheit sehr zuträglich ist.
Bis in die 1970er-Jahre verbrachten wir ganze Tage damit, auf den Knien das Unkraut in unseren Rebbergen zu jäten. Das Auftauchen der Herbizide setzte dieser beschwerlichen Arbeit ein Ende. Die chemische Industrie drängte uns unter Einsatz von viel Werbung und trügerischen Halbwahrheiten zu einer einfachen und bequemen Landwirtschaft. Im Namen des sogenannten Fortschritts griffen wir zu Lösungen, von denen wir heute wissen, wie zerstörerisch sie sind. Doch trotz diesem Wissen und all unseren Erfahrungen geht das Drama weiter. Die schlechten Praktiken werden weiter gepflegt. Viele glauben immer noch an sie, lassen sich verführen und von Politikern beschwichtigen.
Tatsächlich haben die Herbizide die Vielfalt und Vitalität unserer Böden zunichtegemacht; sie haben dazu beigetragen, die natürliche Flora – die Quintessenz der Ausdruckskraft unserer Terroirs – zum Verschwinden zu bringen und dafür die Ausbreitung von unerwünschten, immer mehr überhandnehmenden Pionierpflanzen (wie Winde, Fuchschwanz, kanadisches Berufkraut alias Katzenschwanz usw.) zu fördern.
Der Weinbau, der diese destruktiven, sogenannt «progressiven» Praktiken übernommen hat, steckt in der Sackgasse. Wie soll man auf toten Böden lebendige Weine kultivieren? Wie kann ein Boden, den man getötet hat, noch ein Terroir ausdrücken?

Huppe fasciée dans la vigne de Merlot de Didier Joris
Ein Wiedehopf in Didier Joris’ Merlot-Parzelle.

Es ist höchste Zeit, den Boden ernst zu nehmen und ihn als vollwertigen, lebendigen Organismus zu betrachten, der in der Lage ist, sich selbst «anzukleiden». Nach Jahrzehnten der Herbizide braucht es Jahre, um wieder eine vielfältige und ausgewogene Vegetation zu bekommen. Eine der Herausforderungen beim Begrünen der Rebberge im biologischen Weinbau ist die Konkurrenz um Wasser und Stickstoff. Beim Wasser ist die Tröpfchenbewässerung eine unbestrittene Lösung, vorausgesetzt, man wendet sie mit Bedacht und sehr sparsam an. Beim Stickstoff sollte man direkt eingesäten Gründünger ausprobieren, auch wenn die im Ackerbau angewandten Techniken noch kaum für den Weinbau erforscht sind.
Im Kampf gegen Krankheitserreger (Echter und Falscher Mehltau, Graufäule) erzielt der biologische Weinbau ebenso gute wenn nicht gar bessere Resultate als die chemische Bekämpfung. Das verlangt allerdings höchste Aufmerksamkeit beim Überwachen der Rebkrankheiten; zudem muss man mit leistungsstarken Zerstäubern präventiv spritzen, sodass die natürlichen Produkte die gesamte Blattoberfläche und die Trauben bedecken.
Es stellt sich eine weitere entscheidende Frage: Wie ernährt man die Reben und bewahrt ihnen eine gewisse Wuchskraft, ohne chemischen oder organischen (nicht biologischen) Dünger zu verwenden? Die Zufuhr von organischem Material, Quelle der Vitalität der Rebe, ist schwierig zu meistern. Biologischen Kompost, Mist von Biohöfen also, findet man im Wallis noch zu wenig und er ist auch teuer im Transport – ein Problem, das der Weinbau lösen muss, wenn er den Fortbestand unserer Böden garantieren und künftigen Generationen einen gesunden, gut ernährten Boden weitergeben will, so wie ihn uns unsere Vorfahren hinterlassen haben.
In der Nähe produzierte Bioweine zu konsumieren bedeutet, die eigene Gesundheit und die Gesundheit der Erde zu bewahren und einen Weinbau zu unterstützen, der sich für das Wohl aller einsetzt. Gleich bei Ihnen in der Nähe. • Didier Joris, berater Önologe und Winzer.

Ein Überzeugungstäter

Danach konzentriert sich Didier auf seinen eigenen Wein. Redimensioniert das Labor, behält nur einen kleinen Teil der Beratungsmandate. Seine drei Hektar Reben in Chamoson bewirtschaftet er biologisch. «Nicht biodynamisch», wie er betont. «Man muss die Böden in Ruhe lassen und nicht pflügen, wie es die Biodynamiker tun», ist er überzeugt. «Damit zerstört man das mikrobielle Leben ober- und unterhalb der Erdoberfläche. Der Boden ist ein Lebewesen, das man respektieren muss und das in Harmonie mit seinem Biotop leben soll.» In jedem Klima gebe es ein ganzes Netz von für die Rebe nützlichen oder schädlichen Pflanzen und Pilzen. «Man muss die natürliche Biodiversität fördern, von Hand die Unkräuter ausreissen, alle drei Wochen mähen, aber jeweils nur jede zweite Reihe, damit die Insekten sich retten können, die Reben mit natürlichen Ressourcen wie gehäckselten Trieben oder bretonischen Algen stärken und Pflanzen ansäen, die Stickstoff liefern. Und den tragenden Draht des Erziehungssystems höher legen, auf 80 Zentimeter, dann stören die Kräuter darunter nicht…» Bei einigen Rebsorten schneidet Didier überhängende Rebtriebe nicht mehr ab, sondern zwirbelt sie zusammen. «Es braucht 15 Jahre, um Reben und Boden wirklich auf Bio umzustellen», ist Didier Joris überzeugt. «Diese Umstellung bedeutet in den ersten Jahren 30 bis 40% mehr Arbeit und 25% weniger Ertrag. Die Erträge sinken, da die Beeren kleiner werden.» Er lacht: «Wenn ich einen Lehrer hätte, der das unterrichtet, was ich früher unterrichtet habe, dann würde ich ihn rausschmeissen. Aber man muss auch den Mut haben, seine Meinung zu ändern. Und der Weinbau hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten gewaltig entwickelt…»

Und er sich mit ihm. Treu geblieben ist er seinen grenzenlosen Qualitätsansprüchen und seinem Drang, Neues auszuprobieren und zu erforschen. Anfangs, als er bei Orsat arbeitete, durfte er seine eigenen Weine nicht auf den Markt bringen. «Damals haben die Sterneköche Frédy Girardet, Roland Pierroz und André Jaeger meine paar Barriques mit Chardonnay und Syrah unter sich aufgeteilt, heute habe ich viele Privatkunden.» Und zahlreiche andere Sorten im Angebot, Walliser Spezialitäten wie Petite Arvine und Heida, internationale Varietäten wie Merlot und Cabernet Franc, Neuzüchtungen wie Galotta und Divico. Nicht zu vergessen die weisse Diolle. Die alte Walliser Rarität, eine natürliche Kreuzung aus Rèze (Resi) und einer unbekannten Sorte, galt als ausgestorben, bis 2007 Dr. José Vouillamoz die zwei letzten überlebenden Stöcke in Savièse entdeckte. In Zusammenarbeit mit Didier Joris hat der Rebforscher diese Rarität auf 300 Quadratmetern angepflanzt und diesen Frühling die ersten 134 Flaschen abgefüllt.

José Vouillamoz et Didier Joris soignent leurs précieux ceps de Diolle, cépage valaisan rarissime.
Didier Joris und José Vouillamoz hegen und pflegen gemeinsam ihre kostbaren Rebstöcke der geretteten Walliser Rebsorten-Rarität Diolle.

Der Star im Sortiment ist und bleibt aber die Sorte Syrah, die in zwei Terroirversionen vinifiziert wird. Wie alle seine Rotweine lässt Didier die Syrah spontan mit eigenen Hefen vergären – im Gegensatz zu den Weissen, bei denen er aus Furcht vor Fehltönen selektionierte biologische Hefen verwendet. Der Syrah Prés des Pierres 2018, von einem steinigen Terroir und über vierzigjährigen Rebstöcken stammend, ist von einer derart umwerfenden Eleganz und Finesse, wie man sie sonst nur im Burgund findet. Das höchst subtile Gleichgewicht zwischen lebendigem Boden, sprechendem Terroir, Rebsorte, gesunder Umwelt, schonender Vinifikation und der Persönlichkeit eines Winzers – hier hat man sie in Reinkultur!

Tipp von Didier Joris

Restaurants
Café Berra
Place de l’école 1
Choëx s/Monthey
024 471 05 30

Restaurant Le Dahu
La Chaux
1936 Bagnes
027 778 20 00

Paläogenetik der Walliser Rebsorten

Bei der Paläogenetik werden Pflanzenreste, die man an archäologischen Stätten gefunden hat, mittels DNA-Tests untersucht. Eine kürzlich durchgeführte Studie, veröffentlich in der prestigereichen Wissenschaftszeitschrift «Nature Plants», hat aufsehenerregende Entdeckungen zu den alten Rebsorten Frankreichs und… der Schweiz geliefert. Die Forscher wandten eine wirksame Methode der Sequenzierung der DNA auf 28 Traubenkerne an, die von archäologischen Fundstellen in Frankreich stammen, und zwar aus der Eisenzeit, der römischen Epoche und dem Mittelalter. Die DNA von Traubenkernen aus einer mittelalterlichen Fundstelle in Orléans, datiert auf ungefähr 1100, stimmten perfekt mit derjenigen des Savagnin Blanc überein, der im Wallis Heida oder Païen genannt wird. Auch wenn es bisher Übereinstimmungen der Namen gegeben hatte, so fehlte doch die Gewissheit bezüglich der Identität der alten Rebsorten. Mit dieser Studie kann man zum ersten Mal in der Geschichte beweisen, dass eine alte Rebsorte ohne Unterbruch seit mindestens 900 Jahren kultiviert worden ist. Auch auf Schweizer Seite hielten diese Forschungen Überraschungen bereit: Drei Traubenkerne von einer Fundstelle in Montferrier in Tourbes (Hérault) aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung erwiesen sich genetisch als eng verwandt mit Arvine und Amigne. Ein Traubenkern aus Roumeges in Poussan (Hérault), zeitlich zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert einzuordnen, konnte als direkter Verwandter (Vater oder Sohn) des Humagne Blanc identifiziert werden. Diese Entdeckungen erschüttern meine seit langem geäusserten Zweifel bezüglich der römischen Herkunft der Walliser Rebsorten. Tatsächlich vermutet man bei mehreren alten Walliser Sorten, sie seien von den Römern eingeführt worden: die Amigne wäre demnach identisch mit der Vitis aminea, die zahlreichen verschiedenen Rebsorten entsprechen würde, die Arvine wäre der Vinum helvinum, eine unbestimmte, gelbliche Traube, die Rèze wäre dann die Uva Raetica, von der es zwei deutlich zu unterscheidende Sorten gab, und die Humagne schliesslich wäre der Vinum humanum, der niemals von irgendeinem Autor der römischen Epoche erwähnt worden ist. Diese wackelnden Hypothesen, die oft mehr mit Folklore zu tun haben als mit der historischen Realität, haben vielleicht einen durchaus realen Hintergrund. Die DNA-Analyse von Traubenkernen, die bei archäologischen Grabungen in der Schweiz gefunden wurden (vor allem in Gamsen/Waldmatte bei Brig) könnte eines Tages ein neues Licht auf die Einführung der Walliser Rebsorten werfen. Beim gegenwärtigen Stand des Wissens darf man annehmen, dass diese heute verschwundenen Rebsorten sehr wahrscheinlich direkte Vorfahren unserer einheimischen Varietäten waren.

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