Cave La Rodeline, ein Paar und eine grosse Passion
Zuerst führt uns Claudine Roduit hinters Haus, in den Garten am Fuss der imposanten Rebberge von Fully, die in unzähligen übereinander gestaffelten Terrassen bis in den Himmel zu wachsen scheinen. Blühende Rosen, Gemüse, duftende Kräuter, ein schöner alter Kirschbaum. «Das pflege ich alles biologisch, in einer Art Permakultur», meint die drahtige Claudine, der man ansieht, dass sie Tag für Tag in diesen mörderisch steilen Rebbergen unterwegs ist. Schreibtischtäter, die ihr auf einer Tour durch den beeindruckenden Rebkessel Combe d’Enfer zu folgen versuchen, kommen ziemlich ins Schnaufen…
Claudines Mann Yvon, wie sie selbst aus einer bekannten Walliser Winzerfamilie stammend, stösst im Carnotzet zu uns. Seit ein paar Jahren ist das Paar dabei, seine sechs Hektar Reben in den besten Lagen von Fully und Leytron auf biologischen und biodynamischen Anbau umzustellen; beraten werden sie dabei von Nachbarin Marie-Thérèse Chappaz. «Von der Philosophie sind wir völlig überzeugt», meint Yvon, einst Direktor des Weinhauses Imesch, «doch das ist auch eine ökonomische Frage. Biologischer Weinbau verursacht hohe Kosten, wir haben weniger Ertrag und dafür mehr Arbeit. Wenn wir konventionell arbeiten, sparen wir pro Jahr zwei Arbeiter ein – und haben deutlich weniger Angst vor dem Wetter…» Doch der Entscheid «pro Bio» ist gefallen, der Maria-Thun-Kalender wird fleissig studiert, zwischen den Rebzeilen wächst Thymian.
Walliser Spezialitäten in besten Lagen
Das Paar – im Rebberg ist sie die Chefin, im modernen Keller in der Talebene von Fully hat Autodidakt Yvon das Sagen – produziert seit 2003 die ganze Bandbreite an Walliser Spezialitäten (vorher wurden die Trauben von Imesch eingekellert), über 25 Weine, angefangen beim Fendant. «Ich liebe Fendant», meint Yvon, der bitter bereut, einen Teil der Chasselasstöcke ausgerissen zu haben. «Ich habe viel Zeit investiert, um den Fendant zu verstehen, und mich dabei von Waadtländer Kollegen beraten lassen…» Immerhin: Die verbliebenen Stöcke sind bis zu 70 Jahre alt.
Zu den Stars im Sortiment gehören etwa die in Barriques ausgebaute Marsanne Fully Les Claives, die in den illustren Kreis von Mémoire des Vins Suisses aufgenommen worden ist, der kraftvolle, kirschfruchtige Cornalin Combe d’Enfer, der Gamay Les Terrasses von alten Reben oder auch die spannende Assemblage Blanc d’Y, Yvons Liebling, aus je 50% Marsanne und Roussanne zu einem komplexen Gastronomiewein komponiert.
Wer Rodeline und Fully sagt, denkt sofort an die Petite Arvine, die hier auf diversen Terroirs wächst. «Die Arvine verlangt nach einem erstklassigen Terroir und besten Lagen», unterstreicht Claudine, «sie ist sehr anspruchsvoll, empfindlich auf Wind und reift spät.» Beim Auslauben müsse man jeden Stock kennen und individuell entscheiden, welche Triebe stehenbleiben. Die Petite Arvine La Murgère beispielsweise (40 Jahre alte Reben auf leichten Kies- und Sandböden eines Schuttkegels) präsentiert sich in der Nase vornehm zurückhaltend, würzig und floral, im Gaumen stoffig, mit Rasse und Schmelz – und charakteristischen Salznoten im Abgang. Die Petite Arvine Les Claives dagegen, gewachsen auf Geröll glazialen Ursprungs, vermischt mit Löss, gefällt mit Zitrusnuancen, schöner Frische und fülligem Gaumen voller Schmelz. «Vor allem die jüngeren Arvine-Reben ertragen keinen Wasserstress, deshalb bewässern wir sie mittels Tröpfchenbewässerung», erklärt Yvon, «wenn sie zu trocken haben, dann reifen die Trauben nicht aus. Ohne Bewässerung wäre in unseren extrem trockenen Südlagen mit wenig tiefgründigen Böden gar kein Weinbau möglich.» Zum Glück besitzen die Roduits zahlreiche Parzellen mit deutlich widerstandfähigeren alten bis sehr alten Stöcken, oft wertvolle massale Selektionen, die noch von Claudines Vater, dem Rebschulisten, stammen – ein kostbarer Schatz, den sie mit grösster Sorgfalt hegen und pflegen.
Die Walliser verdanken den Waadtländern den Fendant
Der Fendant ist ein Waadtländer! Diese Feststellung wird mehr als einen Walliser schockieren, aber sie ist wahr. Erstmals historisch erwähnt wird diese Rebsorte 1612 in einem botanischen Werk unter den Namen Fendans, Fendant oder Lausannois, was seine Herkunft vom Lac Léman verrät. Und unter dem Namen Fendant wird er auch 1716 im Kanton Waadt aufgeführt. «Fendant» bezeichnet eine Variante der Sorte, deren Beeren aufspringen, wenn man sie zwischen den Fingern zerdrückt, im Gegensatz zum Giclet, dessen Beeren spritzen («gicler»)… Verschiedene weitere Quellen beweisen die weit verbreitete Verwendung des Namens Fendant im Kanton Waadt vor dem 20. Jahrhundert; seine zahlreichen Synonyme im Genferseeraum (Fendant Vert, Fendant Roux, Rougeasse, Blanchette, Plant de la Vaux usw.) bezeugen, dass er hier schon seit langem angebaut wurde. Neben seiner möglichen Präsenz unter dem Namen Plant des Evouettes im Chablais des 18. Jahrhunderts, wird der Fendant im Wallis nur als kleine Anekdote erwähnt, und zwar um 1800 in Sembrancher. Tatsächlich wird er erst ab 1848 im grossen Stil importiert; damals bestellte der Walliser Staatsrat 50’000 Setzlinge der Sorte «Fendant Blanc», um ein Stück Land in Planta d’en Bas in Sion zu bestocken. In der Folge erlebte der Fendant einen derartigen Aufschwung, dass er die alten einheimischen Sorten verdrängte. Gleichzeitig gaben die Waadtländer den Namen der Rebsorte zugunsten der Dorfappellationen auf. Die Ironie der Geschichte: 1966 gelang es den Wallisern vor Bundesgericht, das exklusive Recht zur Benutzung des Namens Fendant zu erstreiten, den sie doch eigentlich von den Waadtländern übernommen hatten…!