Bewertung der Bordeaux Primeurs 2021
Wie funktioniert das mit den Bordeaux Primeurs?
Die grosse Mehrheit der Bordelaiser Châteaux praktiziert den Verkauf in Subskription, «vente en primeur» genannt. Selbstverständlich hat diese Verwendung des Wortes «primeur» nicht das Geringste zu tun mit den Begriffen «Vins Primeurs» oder «Vins Nouveaux» (beispielsweise Beaujolais Primeur oder Beaujolais Nouveau). Im Frühling nach der Ernte, während die Weine also noch ausgebaut werden, werden Fassproben gezogen. Diese Proben werden in der sogenannten «Woche der Primeurs» von Profis der Weinbranche und der Fachpresse beurteilt. Dieses Jahr fand die Woche der Primeurs 2021 vom 25. bis 28. April 2022 statt, mit einigen Anlässen vor den Primeurs, an denen ich das Privileg hatte teilzunehmen.
Es wird nicht blind degustiert. Vereinigungen wie die Union des Grands Crus de Bordeaux, die Alliance des Crus Bourgeois du Médoc oder der Conseil des Grands Crus Classés fassen ihre Proben in zentralisierten Degustationen zusammen, doch die prestigereichsten Châteaux erlauben die Verkostung nur direkt auf dem Weingut und auf Einladung. Das bedeutet, dass eine grosse Anzahl von Berufsleuten der Weinbranche etliche Kilometer kreuz und quer durchs Bordelais fahren müssen.
Die Verkaufspreise werden von den Châteaux in den kommenden Wochen festgelegt, in der Regel nach der Publikation der Degustationsnotizen und Bewertungen der wichtigsten Kritiker. Die Preise der berühmtesten Châteaux werden in der Regel erst zum Schluss bekanntgegeben, im Monat Juni. Die Weine werden danach an die Courtiers verkauft, welche sie an die Bordelaiser Weinhändler verteilen, die sie wiederum an Importeure oder Verteiler weiterverkaufen, die sie schliesslich an professionelle oder private Endverbraucher veräussern. Dieses elaborierte System erlaubt es den Châteaux, willkommene flüssige Mittel zu generieren, garantiert den Händlern die Beschaffung der Weine und sichert den Konsumenten die Reservation vor allem der am meisten gesuchten Weine mittels Subskriptionskauf zu. Theoretisch profitieren Letztere auch von einem tieferen Preis im Vergleich zu dem, der verlangt wird, wenn der Wein in Flaschen abgefüllt ist und auf den Markt kommt. Die Flaschen werden den Kunden in der Regel zwei Jahre später geliefert. Der 2021er beispielsweise wird in der ersten Hälfte des Jahres 2024 ausgeliefert.
Diese typische Bordelaiser Praxis feiert grosse Erfolge bei Käufern auf der ganzen Welt und bietet dieser Region, die nach wie vor als Referenz in der Weinwelt gilt, einen Monat pro Jahr eine ausserordentliche Sichtbarkeit.
Allgemeiner Eindruck
In diesem sehr heterogenen Jahrgang ist es schwer zu sagen, welche Region besser abgeschnitten hat als andere oder ob die Rive Gauche sich nun besser oder schlechter aus der Affäre gezogen hat als die Rive Droite, wie man das in gewissen Jahrgängen tun kann. Trotzdem möchte ich einige allgemeine Eindrücke formulieren:
- Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc gelangen besser als der Merlot, der stark vom Falschen Mehltau betroffen war und der seine phenolische Reife nicht immer gleichzeitig mit der alkoholischen Reife erlangte.
- Die Erntemengen sind schwach, es musste drastisch gesöndert werden und gewisse Châteaux wie Simard in Saint-Emilion haben sogar ihre gesamte Ernte deklassiert.
- Die Alkoholgradationen sind schwach und liegen zwischen 12 und 13%-vol.
- Die Säure ist sowohl in den Weiss- wie auch in den Rotweinen sehr spürbar, was ihnen eine sehr positive Frische verleiht.
- Zahlreiche Weiss- und Süssweine sind exzellent.
- Die gelungenen Weine besitzen eine ausgezeichnete Bekömmlichkeit und Trinkfreundlichkeit. Sie werden früher trinkreif sein als in konzentrierteren, sonnenverwöhnteren Jahrgängen wie der Trilogie 2018-2019-2020.
- 2021 ist ein klassischer Jahrgang, ein wenig «im alten Stil», was mir persönlich durchaus gefällt.
- Chaptalisierung: Diese Praxis, bei der dem Most Zucker hinzugefügt wird, um den Alkoholgehalt nach Abschluss der alkoholischen Gärung zu erhöhen, ist offiziell verboten, wird aber in allen Bordelaiser Appellationen mittels Ausnahmen autorisiert, die jedes Jahr mehr oder weniger stillschweigend erteilt werden. Im Jahrgang 2021 haben so gut wie alle Châteaux auf allen Niveaus der Klassierung ihren Most chaptalisiert, um einen Alkoholgehalt von 12 bis 13%-vol. zu erlangen und das Gleichgewicht der Weine zu garantieren.
100-Punkte-Bewertungsschema
Ich verwende das 100-Punkte-Bewertungsschema, das mittlerweile viel weiter verbreitet ist als die 10- oder 20-Punkte-Skala und meiner Meinung nach eine deutlich höhere Präzision beim Benoten erlaubt.
96-100 : ausgezeichnet
92-95 : sehr gut
88-91 : gut
85-88 : mittelmässig
<85 : schwach
Nicht vergessen darf man, dass es bei den Bordeaux Primeurs um eine Momentaufnahme geht, bei der man eine Probe bewertet, die direkt aus der Barrique entnommen wird. Manchmal werden Noten in grosser Bandbreite verteilt, und sie können korrigiert werden, sobald die Weine in Flaschen sind.
In meinen Degustationskommentaren erwähne ich die Farbe, abgesehen von Ausnahmen, absichtlich nicht, denn die grosse Mehrheit der Bordeaux Primeurs hat eine sehr ähnliche Robe, nämlich ein je nach Dauer der Maischestandzeit und des Barriqueausbaus mehr oder weniger dunkles Purpurrot mit violettem Rand, wie das bei jungen Weinen üblich ist.
Lieblingsweine
Médoc
Château Potensac 91
Château Castera - Cru Bourgeois Supérieur 90
Pauillac
Château Pontet-Canet - 5e Grand Cru Classé 97
Saint-Julien
Château Léoville Barton - 2e Grand Cru Classé 95
Château Léoville Poyferré - 2e Grand Cru Classé 95
Château Talbot - 4e Grand Cru Classé 95
Château Beychevelle - 4e Grand Cru Classé 94-95
Château Gruaud Larose - 2e Grand Cru Classé 94-95
Margaux
Château Kirwan - 3e Grand Cru Classé 94-95
Château Durfort-Vivens - 2e Grand Cru Classé 93-94
Château Malescot St-Exupery - 3e Grand Cru Classé 93-94
Château Haut-Breton Larigaudière 92-93
Saint-Emilion
Château Valandraud - 1er Grand Cru Classé B 95
Château Corbin Michotte 93-94
Château Balestard La Tonnelle - Grand Cru Classé 92-93
Château Tour Baladoz 92
Pessac-Léognan
Château Pape-Clément Blanc 96
Château Carbonnieux - Cru Classé de Graves 92-93
Barsac und Sauternes
Château Coutet - 1er Cru Classé 96-97
Clos Haut-Peyraguey - 1er Cru Classé 95